Interview: Von Moostierchen und Haien lernen
Simon Schneider ist Experte für die Erforschung und Entwicklung neuer Materialien. Dadurch kennt er sich auch mit Bionik richtig gut aus. Er unterstützt und berät für Hessen Unternehmen und Forschung, damit diese neue Technologien entwickeln, die uns alle voranbringen. Lies nach, welche Rolle Tiere und Pflanzen dabei spielen.
Ökoleo: Lieber Herr Schneider, was können wir von der Natur lernen?
Simon Schneider: Viel! Alle Pflanzen und Tiere sind das Ergebnis von Milliarden von Jahren der Evolution. Egal, welches Lebewesen man sich anschaut, man kann sicher sein: Es ist perfekt an seinen Lebensraum und seine Lebensart angepasst. Und die Natur bleibt anpassungsfähig! Das können wir von der meisten menschengemachten Technik nicht behaupten. Ein Handy sucht sich (noch) nicht selbst sein Ladegerät, wenn es leer wird und ein Auto kann nicht einfach das Schwimmen lernen. Da sind Tiere viel klüger und wandlungsfähiger.
Ökoleo: Wie werden bionische Erfindungen denn entwickelt? Schauen Sie einfach aus der Natur ab?
Simon Schneider: Nein, es reicht nicht immer aus, sich inspirieren zu lassen. Man muss schon sehr genau schauen wieso, weshalb, warum etwas funktioniert. Wenn man das richtig gut macht, findet man nicht selten viele Vorteile bei nur einem einzigen Vorbild – zum Beispiel bei der Haut von Haien.
Ökoleo: Was ist das Besondere an der Haifischhaut?
Simon Schneider: Die Haifischhaut hat eine ganz besondere Struktur. Deshalb kann ein Hai besonders widerstandsfrei durch das Wasser gleiten und kleine Lebewesen und Algen bleiben nicht an der Haut haften.
Ökoleo: Wo dient die Haihaut als Vorbild?
Simon Schneider: Zum Beispiel bei den Rotorblättern von Windrädern. Durch das Nachahmen der Haifischhaut kann man die Rotorblätter von Windrädern so beschichten, dass Windräder leistungsfähiger arbeiten. Man kann die Prinzipien der Haihaut auch auf Schiffsrümpfe anwenden. So verhindert man, dass sich am Schiff Beläge von Algen oder Muscheln sammeln, die die Hülle schädigen und den Treibstoffbedarf erhöhen können. Man kann aber auch Schwimmanzüge mit den Strukturen, die von der Haifischhaut inspiriert sind, aufbereiten. Damit sinkt der Strömungswiderstand für professionelle Taucher. Das Schwimmen wird leichter und erlaubt es, länger zu arbeiten.
Ökoleo: Welche Erfindungen wurden in Hessen entwickelt?
Simon Schneider: Da gibt es einige. Forscherinnen und Forscher aus Gießen und Frankfurt haben zum Beispiel gemeinsam mit einem Unternehmen, neue Sitze für Züge entwickelt. Die Inspiration kam dabei von den Wohnhöhlen der Moostierchen. Das sind mikroskopisch kleine Lebewesen, die im Seetang leben. Die Sitze haben es in sich: Sie sind leichter und sparen somit Energie, sind weicher und auch kühler, was gerade an heißen Tagen ohne Klimaanlage wichtig sein kann.
Ökoleo: Spielt der Natur- und Umweltschutz eine Rolle in der Bionik?
Simon Schneider: Wenn ich etwas leichter konstruieren kann, verbrauche ich weniger Energie, was dem Klima zugutekommt. Deswegen konzentrieren sich viele Entwicklungen der Bionik auf den Leichtbau. Dabei schaut man sich Skelette und Knochen an, um möglichst leichte Bauteile, Fahrzeuge oder Maschinen zu entwickeln. Auch Pflanzen oder die Federn von Vögeln sind hier sehr häufig das Vorbild.
Ein anderes Beispiel sind biologisch abbaubare Kunststoffe: Hier nimmt man nicht nur häufig biobasierte Materialien, sondern schaut auch, wie Stoffe in der Natur abgebaut werden oder welche Materialien in der Natur abgebaut werden.
Ökoleo: Können wir in unserem Alltag bereits biologisch abbaubare Kunststoffe nutzen?
Simon Schneider: Ja, ich kaufe im Supermarkt zum Beispiel Mülltüten aus biobasierten Kunststoffen und werfe in diese meinen Restmüll. Denn die biobasierten Tüten sind nämlich nicht aus Erdöl wie normale Plastik-Mülltüten. Außerdem könnten sie sich in der Natur auch viel schneller zersetzen.
Ökoleo: Gibt es noch weitere Beispiele, wo die Bionik die Natur schützt?
Simon Schneider: In der Landwirtschaft gehört auch der Pflanzenschutz mit natürlichen Fressfeinden zu den bionischen Ansätzen. Wenn man Insekten oder Pilze gegen Schädlinge einsetzt, ist das natürlich viel, viel umweltschonender als giftige, chemisch hergestellte Pflanzenschutzmittel. Denn diese bedrohen viele verschiedene Insekten und auch die Bienen. Das passiert bei natürlichen Fressfeinden nicht.
Ökoleo: Entdecken Sie manchmal Dinge in der Natur und denken, daraus könnte man doch was Tolles machen?
Simon Schneider: Klar. Der unterirdische Bau von Ameisen oder Termiten faszinierte mich bereits als Kind: Ich frage mich, wie wir deren Fähigkeiten nutzen könnten. Zum Beispiel, um Gleise, Rohre, Leitungen oder ganze Straßen oder Lagerstätten besser unter Erde zu verlegen. Für das und viele andere Probleme brauchen in jedem Fall engagierte Nachwuchskräfte, die sich für Technik und Wissenschaft begeistern können!
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