26. Februar 2019 Landwirtschaft & Garten

Interview: Warum es wichtig ist, krummes Gemüse zu essen

Riesige Mengen Lebensmittel landen in Deutschland auf dem Müll, obwohl sie genießbar sind. Wie es zu dieser Lebensmittelverschwendung kommt, berichtet Nicole Klaski. Sie ist Gründerin der Initiative "The Good Food", die Lebensmittel bei Landwirten und Herstellern rettet.

ÖkoLeo: Es heißt, dass riesige Mengen Lebensmittel nicht gegessen werden, sondern im Müll landen. Um welche Lebensmittel geht es?

Nicole Klaski: Es landet unglaublich viel gutes Gemüse im Müll oder bleibt auf den Feldern liegen. Und es werden tagtäglich Backwaren weggeworfen, also Brötchen, Brot oder Croissants. Auch richtig leckere Schokocroissants.

Auch sogenannte MHD-Ware wird weggeworfen. MHD steht für Mindesthaltbarkeitsdatum. Wenn das überschritten ist, dann landen die Lebensmittel meist im Müll.

Wer rettet Lebensmittel?

Die Initiative "The Good Food" holt bei Herstellern und Landwirten Lebensmittel ab, die sonst im Müll landen würden. In einem Laden in Köln können Kundinnen und Kunden sie gegen Spende abholen. Um Reste aus Supermärkten kümmert sich zum Beispiel Foodsharing. Foodsharing-Gruppen gibt es beinahe in jeder Stadt. Informiert euch über Initiativen in eurer Nähe. Viele Unternehmen spenden ihre Reste auch den Tafeln. Dort können bedürftige Menschen sie abholen.

ÖkoLeo: Wie kommt es, dass Gemüse auf den Feldern liegen bleibt?

Nicole Klaski: Der Handel gibt bestimmte Regeln vor. Zum Beispiel, wie groß eine Kartoffel im Supermarkt zu sein hat. Wenn sie größer oder kleiner ist, oder knubbelig, dann kaufen die Supermarktunternehmen sie nicht. Genau wie Möhren mit zwei Beinen.

Man findet wirklich herzallerliebste Beispiele auf den Feldern. Wir hatten auch schon Herzkartoffeln und eine Kartoffel, die aussah wie eine Ente. Dabei ist krumm gewachsenes Gemüse genauso lecker.

ÖkoLeo: Gibt es denn nicht noch andere Möglichkeiten, die Ernte zu verkaufen?

Nicole Klaski: Der Lammertzhof, mit dem wir zusammenarbeiten, hat einen großen Hofladen. Der hat schon oft versucht, knubbelige Kartoffeln oder zweibeinige Möhren zu verkaufen. Aber selbst die Kunden auf dem Hof kaufen das nicht. Das war eine bittere Erfahrung für den Landwirt.

ÖkoLeo: Aber zu euch in den Laden kommen doch Leute, die krummes Gemüse mögen?

Nicole Klaski: Bei uns im Laden sind Menschen, die sich sehr darüber freuen. Insbesondere Familien kommen, weil die Kinder und die Eltern gerne sehen, wie Gemüse tatsächlich wächst. Was wir in normalen Supermärkten finden, entspricht nämlich nicht der Wahrheit.

Gurken zum Beispiel wachsen eigentlich eher kringelförmig. So lassen sie sich aber nicht gut verpacken, es passen nicht so viele runde Gurken in einen Karton wie gerade Gurken. Deswegen nehmen die Supermärkte die den Landwirten nicht ab.

das Gemüseregal von The Good Food
Im Laden von The Good Food gibt es nur Lebensmittel, die fast im Abfall gelandet wären. (Bild: Simon Veith – Nachhaltige Fotografie)

ÖkoLeo: Krummes Gemüse ist gut essbar, das ist logisch. Aber wie ist das bei den Lebensmitteln, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist?

Nicole Klaski: Abgelaufen ist ein falsches Wort, weil es so negativ ist. Ich würde sagen, das Mindesthaltbarkeitsdatum ist überschritten. Dieses Datum ist nur eine Empfehlung, im Unterschied zum Verbrauchsdatum. Das Verbrauchsdatum gibt es zum Beispiel für rohes Fleisch und Fisch. Das ist strenger, und man sollte es so beachten, wie es auf der Verpackung steht.

ÖkoLeo: Klar, denn rohes Fleisch und Fisch können schnell verderben. Wie sieht es bei anderen Lebensmitteln aus – was ist oft noch genießbar sind, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist?

Nicole Klaski: Bei uns im Laden gibt es zum Beispiel gerade Essig und Haferflocken. Oder Getränke wie Limo, Eistee und Kokosnusswasser. Dann haben wir noch Hefe oder Backzutaten. Auch Erdbeermarmelade – da ist sehr viel Zucker drin, das macht ein Lebensmittel sehr lange haltbar. Oder Chips, Popcorn, Knabberzeug, Tee und Schokolade. Das ist alles noch völlig in Ordnung. 

Milchprodukte haben wir nicht viele, weil wir nicht genug Möglichkeiten zum Kühlen haben. Bei Lebensmitteln, die gekühlt werden müssen, muss man auch aufpassen, weil sie leichter verderben können.

ÖkoLeo: Das Angebot in eurem Laden klingt ja groß. Warum bleiben denn all diese Ware übrig?

Nicole Klaski: Beim Hersteller sind das zum Beispiel Lebensmittel, die zu viel produziert wurden. Oder Waren, deren Karton beschädigt ist. Es kann auch vorkommen, dass das Design verändert wird. Also der Hersteller möchte rosa Aufdrucke und hat vorher alles in blau gedruckt. Dann werden alle Produkte mit blauem Etikett aussortiert. Oder das Produkt wird aus dem Sortiment genommen, da neue Produkte hergestellt werden, dann müssen die Restbestände auch noch weg.

ÖkoLeo: Das klingt ja verrückt, dass etwas übrigbleibt, nur weil der Aufdruck verändert wird. Habt ihr noch mehr solcher Sachen erlebt?

Nicole Klaski ärgert sich, weil Lebensmittelverschwendung vermeidbar wäre. (Bild: Simon Veith – Nachhaltige Fotografie)

Nicole Klaski: Das Verrückteste war, dass wir einmal Unmengen an Wein bekommen haben, 12 Euro-Paletten voll! Das war Wein, der aus dem Sortiment genommen wurde.

Schlimm finde ich aber die tagtäglichen Absurditäten, wie beispielsweise bei den Backwaren. Davon werden jeden Tag Tonnen weggeschmissen. In großen Backwarenketten wird sogar darauf geachtet, dass die Läden genug an die Zentrale zurückschicken. Wenn es zu wenig ist, bekommt die Filiale gesagt: Ihr müsst mehr Backwaren abnehmen! Denn die Regale müssen bis zum Ende des Tages voll sein. Das ist in meinen Augen absichtliche Lebensmittelverschwendung! Nur damit der Kunde am Ende des Tages ein schön gefülltes Regal vor sich sieht.

ÖkoLeo: Was kann man denn selbst gegen die Lebensmittelverschwendung tun?

Nicole Klaski: Mich persönlich nervt nicht nur, dass wir die ganzen Lebensmittel wegschmeißen, sondern auch die ganzen Ressourcen, die für die Erzeugung nötig sind. Was alles verschwendet wird, wenn wir einen Apfel wegwerfen! Der Apfelbaum musste gegossen werden, dann wurde er über weite Strecken transportiert ...

Ich würde mal zum Bauernhof fahren und mir das Gemüse angucken. Dann sieht man, welches Gemüse in der Umgebung gerade wächst und wie es tatsächlich aussieht. So kann man auch erfahren, wie viel Arbeit und wie viel Liebe und Zeit in einer Möhre stecken und wer alles dafür schuften musste. Dann kann ich das ganz anders wertschätzen und lasse das Gemüse vielleicht nicht vergammeln und kaufe nicht zu große Mengen ein.

Richtige Lagerung ist auch wichtig, damit Lebensmittel nicht schlecht werden. Man sollte sie immer gut verpacken. Der Kühlschrank muss immer auf die richtige Temperatur eingestellt sein, und man sollte darin die verschiedenen Zonen nutzen. Unten gibt es immer ein Gemüsefach. Bei Trockenware ist es wichtig, dass sie immer gut verschlossen ist.

Wenn ich tatsächlich mal zu viel eingekauft habe, kann ich meine Nachbarn fragen: Sag mal, kannst du das verkochen? Ich schaffe das nicht.

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