23. März 2021 Tiere

Interview: Warum ist Tierschutz wichtig?

Menschen dürfen Tieren kein unnötiges Leid zufügen, das ist per Gesetz geregelt. Trotzdem werden viele Tiere unter schlechten Bedingungen gehalten, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Wie kommt das, und was können wir für die Tiere tun?

(Bild: Privat)

Dr. Madeleine Martin ist Landestierschutz-
beauftrage des Landes Hessen. Sie ist ausgebildete Tierärztin und hatte eine eigene Praxis. Bei ihrer Arbeit erlebte sie, dass Tierschutz nicht immer durchgesetzt wird. Darum entschied sie, sich beruflich dafür einzusetzen.

ÖkoLeo: Worum geht es beim Tierschutz?

Madeleine Martin: Beim Tierschutz geht darum, dass Tiere ohne Schmerzen, ohne Leiden und ohne Schäden leben sollen. Dabei geht man davon aus, dass wir Menschen Tiere nutzen dürfen, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Ein anderes Beispiel sind Hunde und Katzen als Heimtiere.

Im Tierschutzgesetz heißt es, dass Menschen Verantwortung für Tiere haben. Denn ein Tier ist laut Gesetz ein Mitgeschöpf. Niemand darf einem Tier ohne einen vernünftigen Grund Schmerzen oder Leiden zufügen.

Haben Tiere Rechte?

Wenn von "Tierrechten" die Rede ist geht es um die Idee, dass Tiere von Geburt an Rechte haben, so wie wir Menschen. Aus dieser Sichtweise haben Tiere einen viel höheren Stellenwert. Dann darf man sie nicht automatisch nutzen.

ÖkoLeo: Sie sagten, Tiere sollen vor Leiden geschützt werden. Ist das denn nötig?

Madeleine Martin: Ja, das ist leider nötig. Es gibt leider Tierhalterinnen und Tierhalter, die nicht darauf achten, dass Tiere gesund sind und dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Und in der Landwirtschaft gibt es Haltungssysteme, die zu Schmerzen, Leiden und Schäden führen.

ÖkoLeo: Wie kann ich mir diese Haltungssysteme vorstellen?

Madeleine Martin: Für Milchkühe ist heute der Liegeboxen-Laufstall das übliche Haltungssystem. In dem gibt es einen Laufbereich und für jedes Tier eine Liegebox.

Heute ist es immer wieder so, dass die Tiere nicht richtig in die Boxen passen. Denn Milchkühe wurden so gezüchtet, dass sie Hochleistungen erbringen. Dadurch sind sie immer größer geworden. Viele Ställe wurden aber vor 25 oder 30 Jahren gebaut. Die Tiere können sich nicht mehr richtig hinlegen oder schlecht aufstehen.

Noch dramatischer sieht es bei den Schweinen aus. Schweine sind intelligenter und können viel, viel besser riechen als Hunde. Darum nimmt man Schweine auch zur Trüffelsuche [Anmerkung der Redaktion: Trüffel sind Pilze, die unterirdisch wachsen]. Zudem sind sie eigentlich reinlich und sauber.

Wie aber halten wir die Tiere in der Schweinemast? In der Regel halten wir sie auf Betonböden mit Spalten drin, darunter werden der Kot und der Urin der Tiere gesammelt. Gülle nennt man das. Die Tiere liegen auf dem harten Boden direkt über der Gülle. Das würden Schweine freiwillig nie tun.

Was es auch noch gibt: In Betrieben, die Ferkel züchten, müssen die Sauen immer wieder für lange Zeit fixiert werden, sodass sie sich kaum rühren können: Beim Decken kommen sie in eine kleine Box, die nennt man Kastenstand. Bei der Geburt der Ferkel werden sie in einem Metallgestänge fixiert. Dieses Gestänge heißt Ferkelschutzkorb. Man sagt, dass dadurch nach der Geburt die Ferkel geschützt werden, denn die Sau könnte sie erdrücken.

Das ist ein erhebliches Leid für die Sau. Denn sie kann zum Beispiel für die Ferkel kein Nest bauen. Das wiederum ist grundlegend wichtig für die Sauen und gehört zu ihren Grundbedürfnissen. Wenn sie das nicht dürfen, bekommen sie Verhaltensstörungen.

ÖkoLeo: Wo ist Tierschutz besonders nötig?

Madeleine Martin: Das geht kreuz und quer durch alle Bereiche, in denen Tiere gehalten werden. Ein Beispiel bei den Heimtieren sind sogenannte Qualzuchten. Das sind Tiere, die so gezüchtet werden, dass ihnen Organe fehlen oder sie krank sind, weil ihre Körper durch Zucht umgestaltet sind. Dazu gehören zum Beispiel kurzköpfige Hunde und Katzen, die nicht richtig atmen können.

Andere Bereiche sind Tiertransporte und die Haltungssysteme in der Landwirtschaft, aber auch Tiere in der Forschung. Was man manchmal vergisst, sind Wildtiere in Menschenhand. Zum Beispiel Elefanten, die im Zirkus auftreten.

ÖkoLeo: Sie haben ganz am Anfang schon das Tierschutzgesetz erwähnt. Was gibt es denn für Regeln für den Schutz der Tiere?

Madeleine Martin: Wir haben ganz viele Regeln. Die wichtigsten Regeln kommen von der Europäischen Union. Es gibt zum Beispiel EU-Regeln zu Schweinehaltung, zur Kälberhaltung, zur Legehennen-Haltung und Vorgaben zur Schlachtung und zur Haltung von Versuchstieren.

Tierschutz im Grundgesetz

In Artikel 20a heißt es, dass der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere schützt, indem er entsprechende Gesetze erlässt und sie durchsetzt.

In Deutschland ist der Tierschutz 2002 in die Verfassung aufgenommen worden. Es gibt das Tierschutzgesetz und Tierschutzverord-
nungen. Im Gesetz werden bestimmte Dinge kurz genannt, in den Verordnungen werden sie dann genauer erläutert.

Außerdem haben wir, das ist ganz wichtig, Gutachten und Leitlinien für bestimmte Tierarten. Bei manchen Arten gibt es keine Gesetze und Verordnungen dazu, wie man sie hält. Aber für Pferde zum Beispiel haben Fachleute Leitlinien entwickelt. Wenn vor Gericht über Pferdehaltung gestritten wird, werden diese Leitlinien hinzugezogen.

ÖkoLeo: Das heißt: Eigentlich ist per Gesetz geregelt, dass Tiere geschützt werden müssen. Trotzdem gibt es Probleme, zum Beispiel in der Nutztierhaltung. Wie kommt das?

Madeleine Martin: Die heutigen Haltungssysteme haben sich vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Lange zählte vor allem, dass die Bevölkerung satt wird. Je mehr Lebensmittel produziert wurden, desto mehr wurde auch darüber nachgedacht, wie die Arbeit in der Landwirtschaft einfacher werden kann. Das ist ein berechtigtes Anliegen, wir kennen das aus vielen Berufen.

Aber in der Landwirtschaft wurde viele Jahre lang nur noch die Arbeit gesehen. Wir haben das Verhalten der Tiere überhaupt nicht im Blick gehabt und nicht geschaut: Was braucht das Schwein eigentlich? Gleichzeitig haben wir die Tiere durch Zucht stark verändert. Rinder und Schweine sind viel größer geworden. Es war wichtig, dass sie eine hohe Leistung bringen, also viel Milch geben oder viele Ferkel bekommen.

Ein Mähdrescher arbeitet sich durch ein goldenes Feld
In der Landwirtschaft werden viele große Maschinen eingesetzt. (Bild: dirkvorderstrasse/ flickr.com/ CC BY 2.0)

Das rächt sich heute. Die Tiere können sich nicht mehr daran anpassen, wie wir sie halten. Das zeigt sich auf vielfältige Weise. Schweine oder auch Hühner fressen oder picken sich gegenseitig an. Das liegt unter anderem daran, dass die Haltungsbedingungen so eintönig sind und die Tiere nicht ausreichend Möglichkeit haben, ihr natürliches Verhalten auszuleben. Bei Schweinen gehört dazu das Wühlen in der Erde. Schweine wühlen, um passende Nahrung zu finden und ihre Umgebung zu erkunden. Sie haben bestimmte Ansprüche an ihre Nahrung. Diese Ansprüche erfüllen wir alle nicht mehr. Wir haben auch die Fütterung verändert. Für viele Tiere ist zum Beispiel strukturiertes Futter wie Heu wichtig. Davon bekommen sie häufig nicht viel, sondern stattdessen Kraftfutter.

Wir müssen heute sagen, dass wir die Tiere in der Landwirtschaft komplett überfordern – durch die Veränderung der Haltung, des Futters und durch die Zucht. Die Tiere leiden, weil sie ihr natürliches Verhalten nicht ausleben können oder sie werden krank, sodass wir ihnen Medikamente geben müssen.

Diese Art der Tierhaltung müssen wir grundlegend verändern.

ÖkoLeo: Was ist Ihre Aufgabe als Tierschutzbeauftragte?

Madeleine Martin: Ich berate die Politik dazu, was in der Gesetzgebung verbessert werden könnte. Ich berate die Landwirte zu praktischen Fragen. Fünfzig Prozent meiner Zeit bin ich draußen in den Ställen. Ich berate Firmen, die Tierversuche machen. Ich unterstütze Amtstierärzte. Deren Aufgabe ist es, für Einhaltung des Tierschutzgesetzes zu sorgen. Ich bin auch Gutachterin bei Gericht.

ÖkoLeo: Was geht mich eigentlich Tierschutz an?

Madeleine Martin: Tierschutz hängt stark mit unserem Alltag zusammen. Wir können als Konsumentinnen und Konsumenten entscheiden, welche Lebensbedingungen wir für Tiere haben wollen. Wer beim Einkaufen zum billigsten Fleisch, zur billigsten Milch, zum billigsten Käse greift, der unterstützt Tierquälerei. Das muss man so sagen.

Bitte nicht falsch verstehen: Diese Produkte sind nach den gesetzlichen Regeln entstanden. Aber die erfüllen eben nicht die Bedürfnisse der Tiere. Wenn man mehr Tierschutz haben will, muss man sehr genau hinschauen. Am sichersten ist es, wenn man Bioprodukte kauft. Aber es gibt auch konventionelle Landwirte, die ihre Tiere unter Bedingungen halten, die weit über den gesetzlichen Vorgaben liegen.

Wo kann ich einkaufen?

Die Hessische Landestierschutzbeauftrage bietet auf ihrer Internetseite Tipps für den Einkauf und eine Liste mit Betrieben, die besonders auf den Tierschutz achten.

Tierschutz geht mich natürlich auch bei meinen eigenen Tieren an. Wer zum Beispiel gerne reitet sollte ein Auge darauf haben, das die Pferde nicht immer nur in der Box stehen. Das ist Tierquälerei. Sie sollten für mehrere Stunden am Tag zusammen mit anderen Pferden auf die Koppel dürfen.

Oder wenn ich selber einen Hund habe: Auch kleine Hunde wollen soziale Kontakte, die wollen richtig spazieren gehen. Sie wollen nicht in einer Handtasche sitzen.

ÖkoLeo: Was kann ich selbst für mehr Tierschutz tun?

Madeleine Martin: Ganz, ganz wichtig ist, dass man weniger Fleisch isst. Und dass man das Fleisch, was man kauft, wirklich gut bezahlt. Das hat mit Tierschutz zu tun und mit Respekt vor den Landwirten, die ihre Tiere gut halten. Außerdem ist es gesund und gut für den Umweltschutz.

Wichtig ist, bei seinen eigenen Tieren darauf zu achten, dass sie wirklich tiergerecht gehalten werden. Das betrifft Pferde, Hunde, aber auch Kleintiere, die in Käfigen leben müssen. Gerade bei Tieren in Käfigen sollte man sich kritisch fragen, ob das sinnvoll ist.

Und: Wildtiere, vor allem junge Wildtiere, darf man im Wald und auf dem Feld nicht einfach einsammeln. Zum Beispiel junge Hasen, junge Eichhörnchen oder ein Rehkitz. Das machen leider viele Leute, doch für die Wildtiere ist das ein Drama. Oft ist bei den Jungtieren die Mutter noch ganz nah, und ihnen fehlt eigentlich nichts.

 

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