22. Februar 2018 Tiere, Landschaften & Ökosysteme

Interview: Warum verschwinden Amsel, Drossel, Fink und Star?

Manche häufigen Vogelarten werden immer seltener. Wie kommt das? ÖkoLeo hat bei der Vogelexpertin Dagmar Stiefel nachgefragt. Sie ist Leiterin der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland in Frankfurt am Main.

ÖkoLeo: In Deutschland gibt es angeblich ein Vogelsterben bei Arten, die eigentlich sehr häufig sind. Davor warnen verschiedene Naturschutzorganisationen. Auch die Medien haben darüber berichtet. Worum geht es da?

Dagmar Stiefel: Das Wort Vogelsterben finde ich nicht ganz richtig. Es ist eher ein allmähliches Verschwinden von sogenannten Allerweltsarten. Wir nennen sie so, weil sie früher wirklich überall waren. Zum Beispiel die aus dem Kinderlied: Amsel, Drossel, Fink und Star.

Diese Arten sind weniger geworden, und in manchen Bereichen sind sie ganz weg. Das nehmen wir nicht sofort wahr, weil die Vögel immer noch sehr häufig sind.

ÖkoLeo: Wenn man sich also beim Spaziergang umschaut oder im eigenen Garten – kann man den Vogelschwund gar nicht bemerken?

Dagmar Stiefel: Doch, wenn man genau hinschaut. Zum Beispiel am Vogelhäuschen. Bei uns hat vor Kurzem ein älterer Herr angerufen, der bisher in jedem Winter 15 Kilogramm Vogelfutter verfüttert hat. Er hat uns gesagt, dass er mittlerweile mit 3 Kilogramm über den Winter kommt.

ÖkoLeo: Das ist ja eine einzelne Beobachtung. Wird über den Vogelschwund auch geforscht?

Dagmar Stiefel: Ja. In Hessen werden Beobachtungen in einer Datenbank gesammelt. Damit können wir den Rückgang belegen. Bei einigen Arten ist er dramatisch.

ÖkoLeo: Bei welchen Arten denn?

Dagmar Stiefel: Zum Beispiel beim Vogel des Jahres 2018, dem Star. Auch die anderen Vögel aus dem bekannten Kinderlied sind betroffen – Amseln, Drosseln, Finken. Der Star kam früher in Massen vor. Darüber war man froh, weil er im Frühjahr Insekten wie Flöhe und Zecken vertilgt hat. Heute gibt es nicht mehr so viele Insekten, und deswegen gibt es auch weniger Stare.

Die Insektenfresser unter den Vögeln haben ein echtes Problem, weil sie nicht mehr genügend Nahrung finden. Neben Spechten auch Grasmücken oder Rotkehlchen. Die Samenfresser haben es besser, unter anderem, weil wir sie füttern. Dazu gehören Meisen oder der Kernbeißer.

zwei kleine Vögel
Ein erwachsener Star füttert einen Jungvogel. (Bild: hedera.baltica/ flickr.com/ CC BY-SA 2.0)

 

ÖkoLeo: Kann es passieren, dass auch diese häufigen Arten ganz aussterben?

Dagmar Stiefel: Sie werden sicher nicht in den kommenden Jahrzehnten in Deutschland komplett aussterben. Aber es kann ein lokales Aussterben geben. Das heißt, einige Arten können aus bestimmten Gegenden ganz verschwinden.

ÖkoLeo: Gibt es solche Gegenden heute schon?

Dagmar Stiefel: Nur kleinräumig. Stellen sie sich zum Beispiel manche Wohnsiedlungen vor. In den Gärten dort sieht man häufig Rindenmulch oder sogar Kies auf dem Boden. Das ist pflegeleicht. Aber da kommt kein Insekt mehr raus, und kein Vogel findet mehr Nahrung.

Aber das größere Problem findet sich in der Landwirtschaft. Dort gibt oft keine Hecken mehr und keinen Wiesensaum am Rand der Felder. Denn die Landwirte brauchen Flächen, die sie leicht mit Maschinen befahren können. Auf solchen Flächen gibt es viel weniger Insekten, und die Vögel finden weniger Nahrung.

Manche Vogelarten sind auch direkt betroffen. Zum Beispiel die Feldlerche, weil sie auf den Feldern brütet. Dort fahren dann Traktoren oder Mähdrescher über die Gelege.

ÖkoLeo: Man könnte also sagen, Menschen und Vögel kommen sich in die Quere?

Dagmar Stiefel: Ja, die Ansprüche des Menschen an ihre Gärten oder an die Landschaft schaden den Vögeln. Dabei kann man das ja eigentlich gut verstehen. Landwirte zum Beispiel wollen möglichst viel aus ihrem Acker herausholen, weil auch sie ein gutes Einkommen brauchen.

ÖkoLeo: Was kann man denn unter diesen Umständen für die Vögel tun?

Dagmar Stiefel: In der Landwirtschaft könnte man zum Beispiel einen Teil der Fläche nicht bewirtschaften, damit Vögel dort Rückzugsmöglichkeiten haben. Man könnte auch mehr Hecken stehen lassen.

Aus England kommt eine gute Idee, die heißt Feldlerchenfenster. Da schaffen Landwirte auf ihren Getreideäckern extra kleine Flächen, wo Vögel besser Nahrung finden. Dafür bekommen die Landwirte Geld von den Behörden.

Manche Vogelarten könnten auch Stoppelfelder gebrauchen, bei denen nach der Getreideernte noch die Reste der Halme stehen bleiben. Dort können Vögel Getreidereste finden. Aber auch Hamster finden dort Nahrung. Heute werden die Stoppeln meist direkt nach der Ernte untergepflügt und das Wintergetreide angesät.

Es gibt einige Möglichkeiten. Aber ohne Geld ist das nicht zu haben. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass Artenreichtum wertvoll ist. Wenn wir bereit sind, etwas mehr Geld für Produkte aus der Landwirtschaft auszugeben, könnte man dort einiges tun.

ÖkoLeo: Könnte man also sagen: Die Menschen müssten ein bisschen abgeben und nicht nur auf ihren eigenen Nutzen achten?

Dagmar Stiefel: Ja. Man kann das auch schon im eigenen Garten machen. Keine Steinchen zur Abdeckung, stattdessen „Unkraut“ einfach jäten oder wachsen lassen. Und heimische Büsche anpflanzen. Oder es wild werden lassen. Dann finden die Vögel auch Nahrung und Verstecke.

Auch Kinder können da mitmachen. Als ich ein Kind war, hatte ich ein kleines Stückchen im Garten und konnte dort ausprobieren, was ich wollte. Bei mir war totale Wildnis, ich wollte nämlich ausprobieren, was passiert, wenn man nichts unternimmt. So eine wilde Ecke habe ich auch heute im Garten, da steppt der Bär! Da sind Bienen und Hummeln, da ist richtig was los. Dahin kommen auch Vögel, die ich sonst nicht in Gärten sehe.

Ich muss auch sagen: Ohne ehrenamtliche Naturschützer gäbe es viele Vogelarten nicht mehr. Allein in Hessen gibt es über tausend. Sie zählen zum Beispiel Vögel und melden die Beobachtungen. Und sie treiben Schutzmaßnahmen voran. Zum Beispiel fragen sie so lange bei örtlichen Bürgermeisterämtern nach, bis im Ort neue Hecken angelegt werden.

ÖkoLeo: Haben Sie einen Tipp: Wo in Hessen kann man besonders gut Vögel beobachten?

Dagmar Stiefel: Egal wo: Es gibt immer was zu gucken. Man muss nur die Augen aufmachen – und die Ohren! Wenn man dann zum Beispiel mit dem Fahrrad unterwegs ist, bekommt man immer etwas mit. Im Wald finden sich eher Spechte und die Eulen, am Gewässer Enten, Gänse oder Schilfbewohner, in Parkanlagen gibt es oft von beidem etwas.

Wenn man sich gar nicht auskennt, kann man kann auch bei den Naturschutzverbänden im Internet nachschauen. Die haben überall Angebote wie zum Beispiel geführte Vogelexkursionen.

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