09. Juni 2021 Tiere

Interview: Was haben wandernde Schafe mit Naturschutz zu tun?

Manche Schafherden ziehen von Ort zu Ort. Unterwegs "pflegen" die Tiere die Landschaft. Wie das geht, erklärt die Wanderschäferin Michelle Berkel.

Die Schäferin Michelle Berkel und ein schwarzes Schaf
Die Schäferin Michelle Berkel hütet 480 Mutterschafe. (Bild: Foto: © Anne-Lena Käding)

Michelle Berkel ist 29 Jahre alt und hat vor zwölf Jahren ihre Ausbildung zur Schäferin gemacht. Seitdem zieht sie mit 480 Mutterschafen von Ort zu Ort.

ÖkoLeo: Wenn man auf dem Land unterwegs ist, kann man an vielen Orten Schafe auf Weiden sehen. Sind das alles Herden wie Ihre?

Michelle Berkel: Nur Manchmal. Es gibt viele Hobby-Schäfer. Aber die haben oft eher zwanzig bis fünfzig Schafe, und sie bleiben immer an einem Ort. Wir als Wanderschäferinnen haben keinen festen Standort. Wir wandern jeden Tag einige Kilometer mit unseren Tieren.

ÖkoLeo: Von wo nach wo wandern Sie denn?

Michelle Berkel: Das kommt auf die Jahreszeit an. Im Frühjahr dürfen wir eigentlich noch auf alle Wiesen. Aber zu dieser Zeit haben auch alle Schafe Lämmer und müssen Milch geben. Dann brauchen wir sehr gutes Futter. Darum ziehen wir oft ein Stückchen weiter, wenn unsere Schafe noch nicht ganz satt sind.

Im Sommer dann wollen die meisten Bauern mähen. Darum müssen wir viele Wiesen meiden.

Im Herbst wandern wir über Streuobstwiesen, wo zum Beispiel Apfelbäume stehen. Nach der Getreideernte machen wir oft auch auf Ackern halt, wo die Schafe den ungewollten Auswuchs fressen und ihren Kot als Dünger verteilen. Darüber sind die Bauern immer ganz froh.

ÖkoLeo: Man hört manchmal, dass weidende Schafe wichtige Aufgaben in der Natur übernehmen. Was steckt dahinter?

Michelle Berkel: Schafe oder allgemein Weidetiere sind für den Artenschutz sehr wichtig, da wir eine extensive Beweidung machen (Anmerkung der Redaktion: Extensiv bedeutet, dass große Flächen schonend bewirtschaftet werden). Die Schafe fressen alle unerwünschten Pflanzen zurück. Dadurch entsteht ein Flachrasen. Und in einem Flachrasen wollen mehr Insekten leben. Mehr Insekten heißt, mehr Vögel und somit auch mehr Brutplätze. Und ganz wichtig: Die Schafe sind quasi ein Taxi!

Extensive Beweidung

Wie Schafe und Rinder Lebensraum schaffen

ÖkoLeo: Ein Taxi? Was meinen Sie damit?

Michelle Berkel: Wenn unsere Schafe an einem Ort sind und sich hinlegen, dann bleiben Samen und kleine Tierchen, zum Beispiel Insekten, in den Klauen und in der Wolle hängen. Gehen wir zur nächsten Weide, fallen die dann runter. Somit verteilen die Schafe die Samen und sichern so die Artenvielfalt.

ÖkoLeo: Also liegt es auch an den Schafen, welche Pflanzen an welchen Stellen wachsen. Das heißt, Schafe sind wie Gärtner?

Michelle Berkel: Genau. Sie können sogar an Bächen Büsche zurückfressen, die dort nicht gewollt sind. Somit hat der Bach mehr Sonne und damit die Fische bessere Laichgründe. Schafe sind unheimlich wichtig für die Natur.

ÖkoLeo: Etwas anderes: Laufen die Schafe denn unterwegs nicht weg?

Michelle Berkel: (lacht) Nee. Erstens sind Schafe Herdentiere, die immer zusammenbleiben wollen. Sie würden sich nie trennen. Zweitens haben wir unsere Hütehunde. Die Hunde halten die Schafe zusammen und sorgen dafür, dass unsere Herde eine Herde bleibt. Außerdem passen sie auf, dass kein Schaf mal schnell nascht, wo es nicht naschen darf. Unsere Hunde brauchen wir immer. Sie sind unersetzbar.

ÖkoLeo: In Hessen werden ab und zu Wölfe gesichtet. Was bedeutet das für Sie?

Michelle Berkel: Ja, da kommen wir wieder zu unseren Hunden. Viele Leute denken, dass Hütehunde die Herde schützen können. Aber das können sie nicht. Dafür gibt es extra Herdenschutzhunde. Die sollen die Herde schützen und notfalls auch beißen. (Anmerkung der Redaktion: Darum gibt es eine spezielle Ausbildung für Herdenschutzhunde.)

Außerdem gibt es noch Wolfsschutznetze, beziehungsweise besonders hohe Zäune.

Wir haben Gott sei Dank hier in unserer Gegend nur Wölfe gehabt, die weitergezogen sind. Wir haben natürlich unheimlich Angst um unsere Tiere.

Mit Wölfen zusammenleben

Für Menschen sind Wölfe normalerweise keine Gefahr. Doch die Halterinnen und Halter von Nutztieren wie Schafen und Ziegen müssen ihre Herden schützen. Fachleute helfen dabei. Und das Land Hessen hilft mit Geld bei der Anschaffung von Zäunen und Schutzhunden.

ÖkoLeo: Gibt es ein Erlebnis als Schäferin, an das sie sich besonders gern erinnern?

Michelle Berkel: Ein positives Erlebnis sind jedes Jahr wieder die Lammzeiten. Das ist wie bei der Geburt eines Kindes: Jede Geburt ist anders und einzigartig. Du weißt nicht, was rauskommt. Ist das Junge schwarz oder ist es weiß?

Und natürlich habe ich auch schon das ein oder andere Schäfchen mit der Flasche großgezogen. Da hat man dann eine eigene Verbindung. Die Tiere hören trotz der großen Herde auf ihren Namen. Wenn man sie ruft, kommen sie und lassen sich streicheln. Das ist sehr besonders.

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