13. September 2018 Landwirtschaft & Garten

Interview: Wer braucht tausend Tomatensorten?

Tomaten sind rot und rund – oder? Tatsächlich gibt es weltweit tausende Sorten, darunter gelbe und schwarze. Auch bei anderen Nutzpflanzen gibt es viel mehr Sorten, als wir im Supermarkt bekommen. Margarethe Hinterlang vom Dottenfelderhof erklärt, warum die Vielfalt wichtig ist – und verrät ihre Lieblingstomatensorte.

ÖkoLeo: Frau Hinterlang, in Supermärkten ist das Angebot bei Obst und Gemüse meistens sehr ähnlich. Man sieht eine Sorte Gurken, eine Sorte Möhren und vielleicht zwei oder drei Sorten Tomaten. Gibt es noch mehr verschiedene Sorten?

Margarethe Hinterlang: Es gibt massig! Es gibt auf der Welt zum Beispiel tausende verschiedene Kartoffelsorten. Auch bei Äpfeln oder Tomaten gibt es tausende.

Es gibt viele Bauern, die mehr Sorten haben als es im Supermarkt gibt. Wir haben bei uns auf dem Hof zehn verschiedene Sorten Tomaten. Schon die Namen sind richtig schön: Ochsenherz, Gelbe Königin, Zuckertraube, Berner Rose.

ÖkoLeo: Warum gibt es so viele Sorten?

Margarethe Hinterlang: Früher war es zum Beispiel so, dass es in jedem Dorf mindestens eine eigene Kartoffelsorte gab. Denn an verschiedenen Orten haben sich Sorten entwickelt, die genau dorthin gepasst haben. Die Menschen brauchten Pflanzen, die ohne moderne Hilfsmittel gut wachsen. Denn früher wurde nicht gespritzt und nur mit Mist gedüngt – so wie heute in der ökologischen Landwirtschaft.

Die Sorten haben einen unterschiedlichen Geschmack, weil auch der Boden überall unterschiedlich ist. Und außerdem die Bodenbearbeitung, das Wetter und der Mist.

Ich war mal in einem Schweizer Bergtal, da gab es in einem kleinen Tal sieben verschiedene Sorten Kartoffeln. Wenn man seine Nachbarn im Dorf besucht hat, konnte man dort andere Kartoffeln probieren.

Tomaten-Freiland-Anbau
Im Freien wachsen Tomaten in Deutschland nur im Sommer. (Bild: Forschung und Züchtung Dottenfelderhof)

ÖkoLeo: Warum sieht man diese Vielfalt nicht in den Supermärkten?

Margarethe Hinterlang: Die Vielfalt ist sehr geschwunden. Man kann zum Beispiel nur Tomatensorten kaufen, die eine feste Schale haben und die man auch länger im Supermarkt liegen lassen kann. Für den Handel ist es auch wichtig, dass man sie gut transportieren kann. Denn Tomaten wachsen bei uns nur im Sommer. Den Rest des Jahres werden sie aus anderen Ländern zu uns transportiert. Außerdem gibt es im Supermarkt meist Sorten, die ertragssicher sind.

Seltene Sorten selbst anbauen

Lust auf ungewöhnliche Sorten im eigenen Garten oder auf der Fensterbank? Eine große Vielfalt gibt es beim Bio-Saatgut. Anbieter findet man leicht im Internet.

ÖkoLeo: Was bedeutet ertragssicher?

Margarethe Hinterlang: Wenn man diese Pflanzen nach Anleitung behandelt, dann ist man ziemlich sicher, wie viel man ernten kann. Die Erntemenge ist wichtig, weil der Gewinn in der Landwirtschaft sehr klein ist.

Ertragssichere Sorten sind an chemisch hergestellten Dünger angepasst. Und an Spritzmittel, gegen Krautfäule bei den Tomaten zum Beispiel.

ÖkoLeo: Obwohl es schon tausende Tomatensorten gibt, züchten Sie auf dem Dottenfelderhof sogar neue Sorten. Warum?

Margarethe Hinterlang: Wir machen das, weil wir gute Tomaten haben wollen, die gut zum Ökolandbau passen. Ganz besonders machen wir es, weil die Tomaten so gut und so verschieden schmecken.

ÖkoLeo: Sie züchten Sorten speziell für den Ökolandbau – was haben denn Tomaten mit Umwelt und Naturschutz zu tun?

Margarethe Hinterlang: Die Sorten, die es im Supermarkt gibt, kriegt man nur hin, indem man viel chemisch hergestellte Pflanzenschutzmittel und Dünger verwendet. Zuviel Dünger schadet aber dem Grundwasser. Auch Spritzmittel schaden dem Boden und dem Wasser. Sorten, die ohne diese Mittel auskommen, sind also besser für die Umwelt.

Ein weiterer Grund ist, dass die meisten Tomaten ja in Spanien und Holland wachsen, und von dort ist der Weg weit. Außerdem gibt es in Südspanien, wo sehr viele Tomaten angebaut werden, wenig Wasser. Aber Tomaten brauchen viel davon, sie bestehen zu mindestens 95 Prozent aus Wasser. Das heißt, die Menschen in Spanien transportieren im Grunde ihr Wasser nach Deutschland. Das ist doch wirklich verrückt!

Wir züchten auch Sorten, weil wir für den Klimawandel gewappnet sein müssen. Beim Getreide züchten wir Getreidesorten aus Iran und aus Afghanistan ein, die auch mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen.

Der Eingang des Dottenfelderhofladens
Im Hofladen des Dottenfelderhofes kann man die seltenen Tomatensorten kaufen. (Bild: Thomas Maetz / commons.wikimedia.org / CC BY-SA 3.0)

ÖkoLeo: Was kann ich selbst tun, um die Sortenvielfalt zu erhalten?

Margarethe Hinterlang: Vor allem: Verschiedene Sorten kaufen. Zum Beispiel, wenn man eine seltene Sorte sieht wie „Quadro“ oder „Gelbe Königin“. Je mehr gekauft wird, desto mehr können die Züchter auch produzieren, wenn sie wissen, dass die Sorten beliebt und auch gefragt sind.

Man findet seltene Sorten auf Märkten oder in Hofläden. Auch im Bioladen findet man oft mehr Sorten als in anderen Supermärkten.

Außerdem kann man diese Sorten auch selbst anpflanzen. Einfach das Saatgut aus den Tomaten rauskratzen, trocknen und im nächsten Jahr neue Tomatenpflanzen daraus machen. Auch Kartoffeln kann man aufheben und anpflanzen.

Mit vielen Sorten aus dem Supermarkt geht das aber nicht. Denn die großen Saatgutfirmen stellen Samen her, die nur im ersten Jahr einen guten Ertrag haben. Man muss das Saatgut immer wieder nachkaufen. Wir finden, dass das Saatgut in die Hand von Bauern und Gärtnern gehört.

ÖkoLeo: Was ist ihre Lieblingssorte unter den seltenen Sorten?

Margarethe Hinterlang: Meine Lieblingskartoffelsorte ist die „Linda“. Aber es ist nicht leicht, sie anzubauen. Wenn alle Bedingungen stimmen, ist sie super. Wenn nicht, hat sie wenig Ertrag, und auch der Geschmack ist nicht gut.

Bei den Tomaten habe ich die Zuckertraube sehr gerne und die Goldene Königin. Die Goldene Königin habe ich jetzt erst entdeckt, sie ist gelb und schmeckt unheimlich fein und aromatisch und süß!

ÖkoLeo: Vielen Dank, Frau Hinterlang!

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