04. Juli 2017 Tiere, Pflanzen, Landschaften & Ökosysteme

Welche Tiere und Pflanzen sind in Hessen bedroht?

Welche besonders seltenen Arten gibt es in Hessen? Wo kann man sie finden? Sind schon Arten in Hessen ausgestorben? ÖkoLeo hat den Fachmann Klaus-Ulrich Battefeld aus dem Hessischen Umweltministerium befragt. Er hat Forstwissenschaften studiert und ist heute im Ministerium verantwortlich für "Artenschutz, Naturschutz, Landschaftsplanung und Naturschutzrecht".

ÖkoLeo: Herr Battefeld, Sie arbeiten im hessischen Umweltministerium und kümmern sich dort unter anderem um den Schutz von bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Sind denn Tier- und Pflanzenarten in Hessen bedroht?

Rote Liste mit Kiebitz (Bild: Grafik Dr. Franz Müller/HMUKLV)

Klaus-Ulrich Battefeld: Tier- und Pflanzenarten, denen es schlecht geht, werden in sogenannten „Roten Listen“ beschrieben. Das sind sehr viele. In Hessen musste von insgesamt 8.000 untersuchten Arten etwa die Hälfte in die Roten Listen aufgenommen werden. Gefährdet sind in Hessen heute Tierarten wie Feldhamster, Feldhase oder Kiebitz. Auch Pflanzenarten sind gefährdet, zum Beispiel der Frauenschuh. Das ist eine Orchideenart, die in Kalkwäldern wächst.

Auerhahn (Bild: © HMUKLV/Battefeld)

ÖkoLeo: Sind schon Arten in Hessen ausgestorben? Damit meinen wir natürlich keine Urzeit-Arten wie Dinosaurier, sondern Arten, die noch in der jüngeren Vergangenheit gelebt haben.

Battefeld: Ja. Eine vor recht kurzer Zeit ausgestorbene Art ist der Auerhahn. Bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts kam der Auerhahn in Hessen vor. Bis zum zweiten Weltkrieg wurden Auerhähne sogar noch in Hessen gejagt. Das Foto zeigt einen Auerhahn, der ausgestopft in meinem Büro steht. Er wurde etwa 1925 im Burgwald in Nordhessen in der Nähe von Rosenthal erlegt.

Ebenfalls seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben war der Wolf. Jetzt kommen erste Wölfe wieder in Hessen vor. Bereits seit dem 17. Jahrhundert bei uns ausgestorben ist der Braunbär. Es gibt auch ausgestorbene Insekten. 

Anders als Maikäfer oder Marienkäfer haben seltene Arten oft ganz komische Namen und die kennen meist nur Spezialisten. Beispiele sind der ausgestorbene „Heilziestdickkopffalter“ oder der seltene „Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer“.

ÖkoLeo: Woran lag es, dass diese Arten verschwunden sind?

Battefeld: Teilweise wurden Tiere wie Wolf, Bär oder Biber durch die Jagd ausgerottet. Der Auerhahn dagegen hat in Hessen keine Chance mehr, weil sein Lebensraum verschwunden ist. Die Art ist auf nährstoffarme Wälder mit weit auseinander stehenden Bäumen und viel Heide- und Beerenkraut angewiesen. Solche Wälder entstanden dadurch, dass die Menschen früherer Zeiten das gesamte Holz aus den Wäldern geholt haben, sogar die kleinsten Ästchen und teilweise sogar die Laub- und Nadelstreu. Heute gehen wir pfleglicher mit dem Wald um und es gibt kaum noch große nährstoffarme Wälder in Hessen.

Dagegen droht der Feldhamster praktisch zu verhungern, weil bei der Ernte kaum noch Körner verloren gehen. Und nach der Ernte werden die Felder sofort wieder bestellt. Oft reicht so eine Veränderung der Lebensbedingungen zum Aussterben einer Art.

ÖkoLeo: Sind auch schon mal Arten wieder „aufgetaucht“?

Battefeld: Da gibt es einige Beispiele. Die Biber wandern jetzt langsam wieder nach Hessen ein. Sie wurden Mitte der 1980-er Jahre im Spessart ausgesetzt. Dagegen ist ein Versuch gescheitert, nachgezüchtete Auerhähne im Odenwald auszusetzen. Fischotter und Luchse wandern langsam aus Nachbarländern wieder bei uns ein.

Luchs (Bild: © HMUKLV/Battefeld)

Im Rhein waren Lachse und Maifische lange Zeit ausgestorben. Jetzt kommen sie wieder, weil die Wasserqualität besser geworden ist und Jungfische ausgesetzt wurden. Auch der Wolf taucht jetzt wieder auf, weil er in unseren dichten Wäldern sehr viel Wild findet, das er gerne frisst.

ÖkoLeo: Wo in Hessen findet man noch seltene Tier- und Pflanzenarten?

Battefeld: Seltene Pflanzenarten findet man meist auf Böden und Gesteinen, die nur ganz selten in Hessen vorkommen und vom Menschen wenig beeinträchtigt sind. Solche Flächen gelten meist als Naturschutzgebiete und sind durch besondere Regeln geschützt. Wo solche Gebiete zum Schutz seltener Arten sind, kann man im Internet in einer Karte nachsehen. Sie heißt NaturegViewer und ist zu finden unter natureg.hessen.de.

ÖkoLeo: Warum leben diese Tiere und Pflanzen gerade dort?

Battefeld: Seltene Tiere und Pflanzen finden sich an Stellen, die besondere Bedingungen bieten. Sie sind zum Beispiel besonders nass oder besonders trocken und warm, haben besonders wenige Nährstoffe im Boden oder besonders viele. Immer wenn ein Standort besonders „extrem“ ist, gibt es wenige Arten, die sich genau darauf spezialisiert haben.

Solche Stellen sind früher teilweise dadurch entstanden, dass Flächen auf besondere Weise bewirtschaftet wurden. Zum Beispiel Wiesen, die nie gedüngt wurden, aber regelmäßig gemäht. Dort siedelten sich Spezialisten an. Ein anderes Beispiel sind Wiesen, die nur wenig Futter gaben: Dort konnten nur Schafe oder Ziegen weiden und auch daraus kann sich eine seltene Lebensgemeinschaft ergeben.

Auch an unzugänglichen Stellen in Wäldern sind besondere Bedingungen entstanden. Vor allem dort, wo man das Holz nicht ernten konnte, weil der Boden zu steil oder zu sumpfig war. Dort konnten uralte Bäume wachsen, deren abgestorbenen Teile eine Heimat für seltene Käfer bieten.

Sogar in der Nähe der Menschen gibt es besondere Lebensräume. Die seltenen Fledermäuse zum Beispiel leben gerne in alten oder hohen Gebäuden.

„Körings Teich“ im NSG Nemphewiesen mit Teich-Schachtelhalm (Bild: © HMUKLV/Battefeld)

ÖkoLeo: Haben Sie selbst schon einmal eine besonders seltene Tier- oder Pflanzenart in der Natur entdeckt?

Battefeld: Da ich die meiste Zeit im Büro sitze, habe ich zu wenig Zeit, um auf Entdeckungstour zu gehen. Spannend finde ich aber das Naturschutzgebiet Nemphetal bei Bottendorf. Dort begann vor einem halben Jahrhundert der Förster, Teiche anzulegen. Mittlerweile beherbergen sie seltene Pflanzen und Tiere. Auf der Internetseite des NABU Waldeck-Frankenberg kann man Einzelheiten nachlesen.

Klaus-Ulrich Battefeld ist Fachmann für Arten- und Naturschutz. (Bild: Klaus-Ulrich Battefeld)

Meine andere Lieblingsstelle ist das Naturschutzgebiet Lengelbachtal bei Frankenau, das nahe der Jugendburg Hessenstein vom Edertal abzweigt. Auch hierzu gibt es Informationen im Internet. Bitte achtet in den Naturschutzgebieten darauf, auf den Wegen zu bleiben.

ÖkoLeo: Wenn Sie sich das wünschen könnten: Welche „verschwundene“ Art würden Sie am liebsten wieder in Hessen entdecken?

Battefeld: Mein ausgestopfter Auerhahn begleitet mich seit meiner Kindheit. Ich habe ihn von meinem Großvater geerbt, der ihn mit seinem Vater zusammen vor knapp einhundert Jahren selbst präpariert hat. Während meines Studiums habe ich dann Auerhühner im Schwarzwald „live“ erleben dürfen. Natürlich wäre es schön, Auerhähne und –hühner auch wieder in Hessen in freier Wildbahn erleben zu können, besonders im nordhessischen Burgwald. Dies wird allerdings auf absehbare Zeit nicht geschehen können. Im Internet unter waldwissen.net gibt es einen schönen Film über Auerhühner im Schwarzwald.

ÖkoLeo: Was müsste passieren, dass sich diese Art wieder ansiedeln kann?

Battefeld: Die Wissenschaft drückt es so aus: „Das Auerhuhn (Tetrao urogallus) ist eine Charakterart lichter, strukturreicher borealer und montaner Waldlebensräume.“ Was heißt das? Das Auerhuhn und der Auerhahn sind Tiere, die vor allem in bergigen winterkalten Gegenden vorkommen wie Schwarzwald, Bayerischer Wald, den Alpen oder in Skandinavien.

Da hat uns in Hessen leider der Klimawandel einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir müssten dringend den Klimawandel stoppen, damit Auerhühner in Nordhessen wieder eine Chance hätten. Und wir müssten die Wälder wieder so bewirtschaften, dass die Bäume ganz weit auseinander stehen und am Boden viel Heidekraut und Heidelbeeren entstehen könnten. Da wir aber alle sehr viel Holz verbrauchen, benötigen wir Wälder, in denen viel Holz wächst.

Außerdem müssten wir die Belastung der Wälder mit Luftschadstoffen verringern. Heute sind zum Beispiel zu viele Stickstoffverbindungen in der Luft. Sie wirken als Dünger für Pflanzen – und zu viel davon bringt natürliche Lebensräume durcheinander. Also leider: „aus der Traum“ vom Auerhuhn.

Aber es gibt andere schöne Tiere und Pflanzen, an denen man sich erfreuen kann.

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