Das grüne Wohnzimmer mitten in der Stadt
Seit April 2018 tut sich etwas in Bad Schwalbach. Vor dem Rathaus werden Kisten gebaut und bepflanzt und Gartenmöbel laden zur Pause ein. Hier entsteht der sogenannte Wundergarten. Antje Borchert von der Stadtjugendpflege berichtet, was alles passiert, wenn man mitten in der Stadt einen Garten anlegt – und alle zum Mitmachen einlädt.
ÖkoLeo: Frau Borchert, sie haben zusammen mit einer kleinen Gruppe den Wundergarten gegründet. Jetzt stehen vor dem Rathaus selbstgebaute Hochbeete, die gemeinsam von Freiwilligen gepflegt werden. Was sagen die Menschen dazu, die auf dem Weg ins Rathaus am Garten vorbeikommen?
Antje Borchert: Viele bleiben vor den Hochbeeten stehen. Die meisten sind erst sehr zögerlich. Vermutlich denken sie etwas wie: Ist das erlaubt? Kann ich das anfassen? Wir haben aber Schilder in die Beete gesteckt. Darauf steht: Es ist erlaubt, die Pflanzen anzufassen! Die Leute zupfen dann zum Beispiel ein Blättchen von den Kräutern ab und riechen daran. Und man kommt schnell ins Gespräch.
ÖkoLeo: Der Wundergarten liegt mitten in der Stadt. An so einem Ort findet man doch eher einen Park. Wie sind Sie ausgerechnet auf die Idee gekommen, dort einen Gemeinschaftsgarten zu starten?
Antje Borchert: Der Wundergarten liegt wirklich mittendrin, direkt am Rathaus. Aber bisher war der Platz eher trostlos. Es gab nur zwei Grasflächen und eine Zufahrt für die Feuerwehr. Aber dort gibt es auch ein Eiscafé und einen Kinderspielplatz. Wir haben uns überlegt, dass man vor dem Rathaus super etwas machen kann, was Café und den Spielplatz ergänzt.
Im Rathaus haben ja alle Bürgerinnen und Bürger irgendwann etwas zu erledigen. Aber die Menschen sagen dann nicht „Jippie, ich gehe ins Rathaus“, weil Erledigungen auf dem Amt oft eher lästig sind. Aber eigentlich ist es für alle da. Und hier in Bad Schwalbach sind auch im Rathaus alle sehr offen und freundlich. Darum finde ich, dass der Wundergarten gut an diesen Ort passt.
ÖkoLeo: Wer macht mit im Wundergarten?
Antje Borchert: Das ist eine sehr bunte Gruppe, die Lust auf den Garten hat. Von Jung bis Alt. Ein bunter Querschnitt durch Bad Schwalbach!
Die Menschen sind glücklich, dass jemand angefangen hat, und jetzt machen sie begeistert mit.
Es gab ein schönes Erlebnis, als wir die Hochbeete aufgebaut und gestrichen haben. Da kam ein Mann aus Syrien vorbei, Hakan. Er schaute erst zu und fragte dann: Braucht ihr Hilfe? Wir haben gesagt: Na klar! Er hat sich dann einen Pinsel geschnappt, obwohl er schick angezogen war, und ist den ganzen Tag geblieben und hat Beete angestrichen. Abends hat er uns geschrieben, dass das der schönste Tag seit langem für ihn war. Hakan ist jetzt auch regelmäßig dabei.
So funktioniert der Wundergarten. Man kann einfach hinkommen und mitmachen.
ÖkoLeo: Was genau passiert im Wundergarten?
Antje Borchert: Es gibt natürlich Alltagsaufgaben zu erledigen. Bei diesem schönen Wetter wie jetzt gerade natürlich gießen! Es müssen auch eingegangene Pflanzen entfernt werden, und wir müssen ein bisschen Müll sammeln. Aber der Hausmeister aus dem Rathaus hat festgestellt: Seit es den Wundergarten gibt, liegt viel weniger Müll herum.
Im Garten gibt es auch viele Veranstaltungen. Alle zwei bis drei Wochen veranstalten wir einen Workshop. Zuletzt haben wir Samenbomben hergestellt – die haben die Kinder aus Matsch und Erde zusammengekleistert.
Und wir haben Schmetterlinge aus leeren Getränkekartons gebastelt. Die werden dann im Stadtgebiet verteilt. Die Idee war, aus den Kartons etwas Schönes zu machen. Dabei geht es auch um das Bewusstsein, dass Ressourcen endlich sind.
Spontane Veranstaltungen gab es auch schon. Nora, eine der Aktiven, hat einem Freund vom Wundergarten berichtet, einem Musiker. Er kam auf seinem Fahrrad vorbei und hat ein spontanes Konzert gegeben. Wir haben Blumen gepflanzt, und er hat dazu einige Lieder auf der Flöte gespielt. Das war sehr schön.
Immer wenn das Wetter gut ist, machen wir das JUZ Open Air. Statt im Jugendzentrum in der Bude zu hocken, sind dann die Jugendlichen im Wundergarten. Wir haben auch zwei Chilldecks selbst gebaut und hängen in der Sonne herum.
ÖkoLeo: Was raten Sie Menschen, die auch gern so ein Projekt starten möchten?
Antje Borchert: Nicht zu viel planen und reden! Wichtig ist, dass man den Mut hat anzufangen. Und dass man darauf vertraut, dass sich Lösungen finden.
Auch wir haben alle möglichen Bedenken gehabt. Aber dann kommen Leute und Ideen dazu. Am Anfang war nicht klar, wie wir das mit dem Gießen machen. Dann haben wir jemanden gefunden, der uns einen großen Wassertank gespendet hat. Und wir dürfen den Wasserspeicher der Stadt anzapfen.
Und eine der Jugendlichen aus dem Jugendzentrum hatte die Idee, einen Gießplan zu erstellen. Sie hat eine alte Tafel im Jugendzentrum gefunden und den Plan gezeichnet. Jetzt kann man abhaken, wer gegossen hat. Heute bin ich übrigens dran!
Wir haben auch befürchtet, dass es Zerstörungen geben wird. Dass Pflanzen herausgerissen werden. Oder dass nachts Remmidemmi herrscht und die Anwohnerinnen und Anwohner gestört werden.
Aber wir sind eines Besseren belehrt worden. Der Garten wird gehegt und gepflegt.
Ich glaube, dass viele tolle Projekte daran scheitern, dass man zu viel darüber nachdenkt, was schiefgehen kann. Ich glaube, es ist wichtig, es einfach zu probieren.
Und mir fällt noch etwas ein: Man muss Rücksicht darauf nehmen, was schon da ist. Wir waren schon bei der Planung, da ist uns aufgefallen, dass oft Kinder vor dem Rathaus Fußball gespielt haben. Es wäre natürlich blöd, wenn das wegen des Gartens nicht mehr möglich gewesen wäre. Fußballspielen ist jetzt also ganz offiziell erlaubt. Und es ist nicht schlimm, wenn der Ball mal in einem Beet landet!
Urheberrecht: Nutzen erlaubt!
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